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Angst und Depression durch Schilddrüsenunterfunktion beim Hund

Innerhalb der letzten Jahre hat sich die Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) zu einer der am häufigsten vorkommenden Erkrankungen des endokrinen System beim Hund entwickelt. In diesem Zusammenhang werden häufig zuerst die mannigfaltigen physischen Symptome dieser Erkrankung genannt.

  • Gewichtszu- / abnahme
  • Haarausfall z. B. „Rattenschwanz“
  • trockene Haut, Schuppen, schlecht heilende Wunden
  • Leistungsschwäche (Herz)
  • verstärktes Schlafbedürfnis
  • neurologische Ausfälle
  • Antriebslosigkeit - mangelnder Sexualtrieb, Unfruchtbarkeit

Eine Hypothyreose kann einerseits schon beim Welpen bestehen und führt dann zu einer gestörten körperlichen und geistigen Entwicklung, welche nicht mehr aufholbar ist, oder sie entwickelt sich im Alter (meist zwischen dem 6. - 10. Lebensjahr, bei großen Rassen auch früher.) und zeigt sich dann durch die o. g. Symptome. Wird eines oder mehrere dieser Symptome vom Hundehalter bemerkt, wird der Weg zum Tierarzt angestrebt. So werden Schilddrüsenunterfunktionen am häufigsten erkannt, wenn der Hund wegen Fellproblemen vorgestellt wird. Männliche und weibliche Tiere sind gleichhäufig betroffen.

Das Erkennen einer Schilddrüsenerkrankung wird beim Hund aber durch die vielfältigen physischen Symptome stark erschwert und ist für den nicht medizinisch versierten Hundehalter fast unmöglich.

Zusätzlich zur physischen Komponente der Erkrankung kommt aber auch eine, dem Tierhalter häufig unbekannte Seite der Hypothyreose, die psychische. Hierbei ist die Symptomatik ähnlich umfassend wie im physischen Bereich. Es treten Konzentrationsschwierigkeiten, Nachlassen der Merkfähigkeit, Antriebsarmut, nachlassendes Interesse, verlangsamte Reflexe und Schlafstörungen genauso auf, wie Angst und Depressionen.

Diese Wechselwirkung zwischen Schilddrüse und Psyche ergibt sich aus der engen Zusammenarbeit des endokrinen Systems mit den - für die vegetativen Steuerungen - zuständigen Zentren des Gehirns, welche durch den Hypothalamus, bzw. dessen Kerne „kontrolliert“ werden.

So wird im Humanbereich häufig auf die enge Beziehung zwischen der psychischen Befindlichkeit des Menschen und seiner Schilddrüse hingewiesen. Die in diesem Zusammenhang genannte Symptomenvielfalt wird von leichter bis mittlerer Unruhe über Depressionen, Panikattacken bis zu Psychosen beschrieben. Selbst latente leichte Störungen der Schilddrüsenfunktion können mit gesteigertem Angstempfinden einhergehen. Gerade dieser Bereich der Depressionen und Ängste ist es aber, welcher in Verbindung mit unseren Hunden beachtet werden sollte. Der Verlauf einer Neuerkrankung im Falle der Schilddrüse ist schleichend, entwickelt sich also langsam (Haut und Fellveränderungen).

Uns Hundehaltern fällt aber eher auf, wenn unser Hund mal nicht Gassi gehen oder spielen will, auf einmal vor - ihm sonst bekannten - Gegenständen / Situationen Angst hat. Diese Symptome werden von uns meist eher wahrgenommen als bspw. eine Gewichtszunahme. Es ist bekannt, dass sich Hunde sehr gut darin verstehen, Schmerzen oder Leiden „für sich zu behalten“. Aus diesem Grund habe ich im folgenden dem - wahrscheinlichen - Empfinden des Tieres, das bekannte Empfinden des Menschen gegenüber gestellt. Es gibt fast keine Forschungsergebnisse zum Thema (hormonell bedingte) Depression und Angstverhalten des Hundes - was nicht bedeutet, dass Hunde dieses nicht genauso wie wir Menschen empfinden. In diesem Fall wäre das ein Leidensweg, welcher u. U. geprägt ist von Angst und depressivem Verhalten. Wie immens dieser Leidensdruck von Menschen empfunden wird, zeigt folgender Ausschnitt:

(Auszugsweise aus einem Schilddrüsenforum:
- Brauche dringend Rat - .... Hallo, hier meine Symptome: zittrig, schwitzen in der Nacht, kein Schlaf, Gedanken rasen, Pinakotheken, könnte dauernd heulen, trockene Haut wie nach Sonnenbrand, Ohren wie zu und Druck drauf, bizzeln auf Kopf bzw. als würde was drin rumkrabbeln, Gefühl Hirn ist zu groß da drinnen, Kloßgefühl am Hals, heißer, Probleme beim Schlucken, viel Schleim in den Nebenhöhlen, häufiges Wasserlassen und 3 x am Tag Stuhlgang, und ganz extrem diese plötzliche Atemnot ..... Was kann ich tun, es fühlt sich schrecklich an. Warum habe ich da so Probleme ??? Auszug Ende)

Wer erwartet unter solchen Umständen situativ angepasstes, „normales“ Verhalten von Mensch oder Tier? Hunde können all ihre Schmerzen und ihr Leid nicht in solche eindrucksvolle und deutliche Worte fassen. Sie können es nur über ihren Ausdruck (Mimik, Blick) und ihre Körpersprache vermitteln.

Hunde mit depressivem Verhalten zeigen deutlich reduzierte Bewegungen, sie bewegen sich nur minimal bis hin zur kompletten Bewegungslosigkeit (Apathie). Sie haben kaum Interesse an den Vorgängen in der Umgebung, leiden öfter unter Magen / Darmproblemen und zeigen eine hohe Fluchtbereitschaft.

Angstverhalten, welches durch eine Hypothyreose ausgelöst wird, lässt sich nicht herkömmlich bestimmen (z. B. Höhenangst, Angst vor Tieren, Angst vor der Dunkelheit etc.). Es zeigt sich aber auch, dass die Angst durch eine objektiv nicht bedrohliche Situation ausgelöst wird, sie über diese Situation hinaus bestehen bleibt und sich im Ausmaß zur Situation unangemessen heftig darstellt.

Hunde zeigen Angstverhalten durch eine Verkleinerung ihrer selbst (Klemmen der Rute, Anlegen der Ohren, u. U. Zusammenkauern), Zittern, gesteigerte Darm & Blasentätigkeit und erhöhte Pulsfrequenz. Hunde, welche sich in einer Angstsituation befinden, zeigen beim Unterschreiten einer (individuellen) Mindestdistanz eine gesteigerte Angriffsbereitschaft. Ebenfalls wurde früher häufig aggressives Verhalten, bzw. eine gesteigerte Aggressivität mit einer Hypothyreose in Verbindung gebracht. Neuen Studien von ESVD - Mitgliedern (European Society of Veterinary Dermatology) zufolge, konnte keine Korrelation von gesteigerter Aggressivität und einer Hypothyreose nachgewiesen werden.

Es liegt also der Schluss nahe, dass die vielfach beschriebene Aggressivitätssteigerung vielmehr in Verbindung mit panischem Angstverhalten gesehen werden muss. Wird diese Panik ausgelöst durch ein Eindringen in den individuellen Freiraum des Tieres, kann es zu nicht situationsangepasstem Verhalten kommen. Verstärkt werden diese Symptome häufig durch psychosozialen Stress, welcher auch auf die Schilddrüse wirkt. Gerade im Bereich der neurologischen Störungen ist aber ein schnelles Erkennen und Behandeln der Ursachen der beste Ansatz für eine erfolgreiche Therapie.

Ebenfalls kann autodestruktives / autoaggressives (selbstzerstörendes) Verhalten gezeigt werden. Die Tiere lecken, kratzen oder „knabbern“ sich blutig, was eine selbstberuhigende Wirkung (self - narcotisation) haben soll. Ob Hunde sich selber verletzen, „nur“ um die - mit dem Schmerz verbundene - Ausschüttung körpereigener Opiate herbeizuführen und sich somit Linderung verschaffen, oder ob diese Selbstverletzungen auch als ein Hilferuf an andere Rudel / Familienmitglieder interpretiert werden kann, wird vielleicht die Forschung der Zukunft zeigen. Im Humanbereich beschreiben Betroffene „das Wegfallen von Spannungen und Druck nach Selbstverletzungen“. Tatsache ist, dass sich Hunde - unter bestimmten Bedingungen - selbst Verletzungen zuführen und dies ein Zeichen für den Besitzer sein sollte die Ursache zu suchen.

Desweiteren besteht eine psychoimmunologische Wechselwirkung, was bedeutet, sowohl Mensch wie auch Tier werden in diesem Stadium anfälliger für Infekte. Eine erkannte Hypothyreose kann meist sehr gut behandelt werden. Die Notwendigkeit einer lebenslangen Medikamenteneingabe ist aber wahrscheinlich, da die Ursache der Unterfunktion vielfach nicht behandelt werden kann.

Gerade in Zeiten von Leinenzwang, Landeshundegesetzen und aufmerksamer Berichterstattung durch die Presse, werden verhaltensauffällige Hunde schnell be- / verurteilt. Im Rahmen dieser Beurteilung, aber auch wenn Hunde im häuslichen Bereich ein sich veränderndes atypisches bzw. ungewöhnliches Verhalten zeigen, sollte mal eine Schilddrüsenuntersuchung in Betracht gezogen werden. Das lässt dann das Verhalten des Tieres u. U. in einem anderen Licht erscheinen.

© Jörg Tschentscher 2006

Quellen:

Dr. Dorit Urd Feddersen - Petersen, Kosmos Verlag, Hundepsychologie 2004
Hoffmann / Hochapfel, Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin, Schattauer Verlag 2004
Hutchison, Maureen (Hrsg), Kompendium der Endokrinologie: Hund - Katze, Schlütersche 1996
Pritzel / Brand / Markowitsch, Gehirn und Verhalten, Spektrum Verlag, 2003
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