Ist der Eurasier zu intelligent?
Ist ein Eurasier dumm, weil er das Bällchen nicht mehrfach holt oder ist er intelligent, weil er in Wiederholungstätigkeiten keinen Sinn sieht. Hat der Eurasier auch eine Arbeitsintelligenz? Gelegentlich wird auch der Eurasier als Arbeitshund eingesetzt z. B. als Therapiehund oder Agilityhund, Lawinensuchhund oder Rettungshund.
In der letzten Zeit wird häufig der Begriff Arbeitsintelligenz in Verbindung mit Hunden verwendet. Was ist das eigentlich Arbeitsintelligenz, wie unterscheidet sie sich von normaler Intelligenz? Hunde, welche schnell und leicht lernen und das Gelernte bereitwillig, wiederholend zeigen gelten als „arbeitsintelligent“. Dieses Verhalten kommt bei bestimmten Rassen häufiger vor. Bedeutet es, das ein Hund mit einer als niedrig bewerteten Arbeitsintelligenz nichts kann, kein Sitz, Platz, Fuß? Entsteht dadurch eine Wertung in Bezug auf die Verwendbarkeit von Hunden und somit eine Wertung in eine Richtung, in welcher die Individualität, Sensibilität und Einmaligkeit des Tieres an dem Wert gemessen wird, wie es den Menschen bei der Arbeit unterstützt?
Der Grundgedanke, sich näher mit Arbeitsintelligenz zu befassen entstand durch den Umstand, dass sich ein Hundebesitzer meldete, welcher um Hilfe bat. „Mein Hund ist so dumm, der tut nicht was ich auf dem Platz sage, was soll ich bloß machen? Selbst mit Stachelhalsband macht der nicht was er soll! Der hat keine Arbeitsintelligenz, was soll ich mit dem? Der entspricht nicht dem, was der Rasse nachgesagt wird.“ Ist der Hund tatsächlich außergewöhnlich dumm? Gibt es „intelligente“ Rassen? Es musste also als erst einmal definiert werden, was ist Arbeitsintelligenz, wie stellt sie sich dar, wie und womit kann sie gemessen werden? Das Definitionsmalör beginnt mit der Erklärung des Wortes „Arbeit“ in Verbindung mit unseren Hunden. Welche Definition von Arbeit ziehen wir denn jetzt heran, die Philosophische, die Soziologische, die Volkswirtschaftliche, die Arbeitswissenschaftliche, die Christliche ... oder einfach die Allgemeine?
In der allgemeinen Beschreibung kennzeichnet Arbeit eine zweckgebundene, zielgerichtete menschliche Tätigkeit. Aber Hunde „arbeiten“ doch auch. Rettungshunde, Polizeidiensthunde, Blindenhunde etc. Alle diese Tiere arbeiten. Aus enzyklopädischer Sicht arbeiten aber nur Menschen. Alle anderen Definitionen passen noch weniger auf die Tätigkeit unserer Hunde, so dass ich bei der allgemeinen Definition bleibe.
Dann kommt der Begriff „Intelligenz“ unter die Lupe:
Intelligenz ist doch eigentlich ein Begriff für kognitive (eine Erkenntnis betreffende) Fähigkeiten. Das bedeutet, dass intelligente Lebewesen Probleme verstehen und lösen können. Das wiederum setzt Auffassungsvermögen, Denkvermögen, Logik und Urteilsvermögen voraus. Es steht für mich außer Frage, dass Hunde all dies haben.
Ein interessanter Umstand: Wir beurteilen die Intelligenz des Hundes mit unserer Definition von Intelligenz. Intelligenz ist kein Begriff aus dem Tierreich. Es gibt verschiedene Tests (z. B. Labyrinth) um festzustellen, in welcher Zeit welcher Hund den Weg nach draußen findet oder nach welcher Zeit er gelernt hat mit der Pfote/Nase eine Taste zu betätigen um eine Futterbelohnung zu erhalten. Diese Tests orientieren sich meist an einem Zeitschema und identischen Testbedingungen für alle Tiere. Die so gewonnenen Ergebnisse geben auch einen Überblick, mit dem man auch Aussagen hinsichtlich des Lernverhaltens (viel oder wenig probieren, häufige oder seltene Wiederholungen) und der Fähigkeit zur Problemerkennung und Lösung treffen kann. Diese Beurteilung orientiert sich aber immer an menschlichen Maßstäben. Sie sagt relativ wenig aus über Fähigkeiten, welche Tiere brauchen die sich nicht in Obhut des Menschen befinden. Kann der, durch Tests als intelligent geltende Hund, in freier Wildbahn überleben (Selbsterhaltungstrieb)? Findet er genug Nahrung, kann er unter Umständen einen Familienverbund führen bzw. sich aktiv an dessen Erhalt (Unterstützung von Jagdaktionen, Aufpassen auf den Nachwuchs, etc.) beteiligen?
Ein weiterer Aspekt bei der Beurteilung von intelligentem Verhalten ist die Frage: Agiert oder reagiert der Hund. Ist das gewünschte Verhalten auf einen Reiz folgend oder sucht das Tier selbstmotiviert nach Lösungen?
Zurück zu dem Besitzer mit dem „dummen“ Hund.
Nachdem die Definitionsfrage geklärt war, geht es jetzt an den Intelligenztest. Herrchen zeigt seinem Hund einen Ball und sagt mehrfach. „Das ist der gelbe Ball.“ Der Hund schaut sehr interessiert. Dann legt Herrchen den gelben Ball zwischen andersfarbige Bälle und sagt zu seinem Hund „Hol den gelben Ball!“ ... und der Hund bleibt sitzen!
Sehen Sie wie dumm der ist. Sein Vorgänger hat sofort verstanden was ich wollte und den richtigen Ball geholt, nur er nicht, er ist einfach nur dumm.
Mir stellt sich jetzt folgende Frage: Herrchen zeigt seinem Hund einen Ball und bezeichnet diesen Ball als „den gelben Ball“. Dann legt er ihn weg und der Hund soll ihn holen. Warum? Für mich stellt sich die Situation so dar: Herrchen zeigt dem Hund den Ball, der Hund schaut aufmerksam zu. Dann wird der Ball weg gelegt. Ob der Hund „verstanden“ hat, dass dieser Ball ab jetzt der gelbe Ball ist kann niemand beantworten. Dass der Hund den Ball nicht holt, heißt nicht, dass er ihn nicht kennt. Vielleicht interessiert den Hund der Ball einfach nicht. Ist der Hund deswegen dumm?
Beispiel: Sie geben einem Bauarbeiter einen Bauplan und er baut ihnen - nach dem Plan - ein Haus. Dann geben Sie einem Arzt den Bauplan und er kann kein Haus bauen. Also ist der Arzt dumm und hat keine Arbeitsintelligenz! Das würde niemand behaupten. Analysiert man jetzt die Begleitumstände, welche zu der Aussage führten, zeigt sich folgendes: Der Arzt hat noch nie ein Haus gebaut, er interessiert sich gar nicht für Bauarbeiten, er interessiert sich viel mehr für die Vorgänge im menschlichen Körper. Und der Bauarbeiter, er will gar keine Menschen behandeln, er hat Spaß daran mit seinen Händen zu arbeiten. Es bedeutet aber, das jeder - Bauarbeiter und Arzt - auf seinem Gebiet - über die Möglichkeit verfügen eine „intelligente“ also mit Auffassungsvermögen, Denkvermögen, Logik und Urteilsvermögen getroffene, Arbeit abzuliefern.
Dies ist bei unseren Hunden nicht anders. Nicht jeder Hund hat Spaß daran Bällchen zu holen, aber er hat mit Sicherheit auch seine Stärken. Schauen Sie sich mal ein Hundegespann an. Unterschiedliche Hunde mit unterschiedlichen Aufgaben und trotzdem meist eine Rasse. Da sind die Hunde, die „einfach“ nur ziehen oder das Leittier, welches Entscheidungen des Mushers umsetzt und führt. Die Kunst und der Erfolg eines solchen Gespanns liegt beim Musher, er muss die Anlagen der Hunde erkennen und die anstehenden Aufgaben an den passenden Hund verteilen. Jeder Hund in dem Gespann ist wertvoll, ohne seine individuellen Stärken wäre eine Teamleistung gar nicht möglich. Die Anlagen der Tiere werden durch Selektionszucht verstärkt. Das bedeutet aber nur, dass bevorzugt mit diesen Tieren gezüchtet wird, welche schon durch gute Leistungen auffallen. So mit enthält ein Wurf wahrscheinlich mehr Tiere, welche in ein Gespann integrierbar sind, als ein „willkürlicher“ Wurf. Aber auch da werden immer Tiere dabei sein, welche - obwohl aus einer Leistungszucht- keine Lust haben, Gespann zu laufen. Tiere die vielleicht einfach lieber mit ihrem Menschen durch den Wald laufen und sich ganz auf Ihren Mensch konzentrieren oder besonders gerne und gut jagen gehen. Vielleicht ist es aber gerade so ein Tier, das im Hochsommer im Wald noch Wasser findet oder riecht wenn Herrchen oder Frauchen unterzuckert und Insulin spritzen muss ... - und den entscheidenden Tipp gibt. Wieso zeigt denn ein Hund ein schnelles lernorientiertes Verhalten, während ein anderer Hund diesen uninteressierten Eindruck vermittelt? Tatsache ist, dass der Mensch immer nur mit den Hunden weiter gezüchtet hat, welche das von ihm gewünschte Verhalten am stärksten zeigten. Somit fand eine Selektion statt. Ursächlich für die Auswahl der Tiere ist aber im direkten Sinne nicht die „Intelligenz“ des individuellen Tieres, sondern dessen Vermögen/Willen dem Wunsch des Menschen, sowie den eigenen Bedürfnissen (Bewegungsdrang, Spaß) nach zu kommen und bestimmte „Tätigkeiten“ durch zu führen. Jeder Hund ist intelligent, unterschiedliche Tiere zeigen unterschiedliches Verhalten, welches von dem Erkennen der natürlichen Anlagen, (z. B. Treibverhalten; Konrad Lorenz verwendete hier den Begriff „genetisch fixiertes Spielverhalten“) durch den Besitzer, das Fördern der Anlagen und dem Willen des Tieres dieses gezeigt bekommene/gelernte auch anzunehmen und umzusetzen, geprägt ist.
Das heißt aber nicht, dass Hunde, welche sich überhaupt nicht am Halter orientieren, nur nicht hören, weil sie zu intelligent sind, um z. B. zu apportieren, zu hören oder einen Parcour zu laufen. Dieser Aussage liegt vielfach ein Unvermögen des Halters den Hund zum lernen zu motivieren oder Lerninhalte zu vermitteln zu Grunde. Da wird die Intelligenz des Tieres auch mal zur Schutzbehauptung.
Nicht jeder Hund lässt sich für alles begeistern, aber jeder Hund kann lernen und eine Beschäftigung die den Hund geistig fordert, ist positiv. Für den Hund, weil er (Lern-)Erfolgserlebnisse hat und für den Halter, weil er ebenfalls ein Erfolgserlebnis hat. Hat er es doch geschafft, dem Hund etwas beizubringen.
Zurück zum dummen Hund ...
Es kann also keine Aussage getroffen werden, ob der Hund intelligent oder dumm ist. Bleibt also noch die Überprüfung der Ausgangsbasis der Intelligenz - des Gehirns.
Die Arbeitsintelligenz bzw. das Arbeitsgehirn liegt im frontalen Schädelbereich, dem sogenannten Stirnhirn (präfrontaler Cortex). Dieser Bereich ist u. a. für Problemlösungsverhalten verantwortlich.
Während sich dieser Stirnhirnbereich im Laufe der Evolution beim Menschen stark vergrößert hat (so ist die jetzige Größe unseres Stirnhirns fast so groß, wie das gesamte Gehirns des in Australien gefundenen „Urmenschen“), ist er bei unseren Hunden, sowie deren Vorfahren, den Wölfen, fast gleich geblieben. Das lässt den Umkehrschluss zu, dass unsere Hunde über soviel „Intelligenz“ verfügen, dass sie unsere „normalen“ Forderungen nicht dauerhaft vor große geistige Herausforderungen stellen. Im Vergleich ist deutlich zu sehen, dass sich die Gehirne von Wolf, Basenji und Beagle im Aufbau nicht voneinander unterscheiden. Die unterschiedlichen Gehirnformen ergeben sich aus der unterschiedlichen rassespezifischen Schädelform, der Stirnhirnbereich ist jeweils gelb eingefärbt. Fotobearbeitung: Fam. Goslar
Gleichwohl muss angemerkt werden, dass ein direkter Zusammenhang großes Stirnhirn = intelligenter nicht ohne weiteres haltbar ist. So wurden menschliche Gehirne von „Genies“ mit denen „normaler“ Menschen verglichen und wiesen morphologisch keine Unterschiede auf. Die Volumenzunahme beim Menschen begründet sich wahrscheinlich auf dem Umstand, dass dieser Bereich (über einen evolutionsrelevanten Zeitraum) stärker beansprucht wurde und sich somit weiter entwickelt hat.
Das wiederum öffnet der vereinfachten Theorie „ Anlage + Lernbereitschaft + Förderung = Arbeitsintelligenz“ Tür und Tor.
Somit kann man dem Besitzer des „dummen“ Hundes eigentlich nur fragen, was macht Ihr Hund denn gerne, was kann er so richtig gut? Dann fördern Sie doch diese Eigenschaften - und so beginnt ein Prozess der gegenseitigen Akzeptanz von Hund und Mensch - und somit die Freude am gemeinsamen Miteinander.
Denn eins ist klar, der Hund ist ein Hund und kein Mensch, er kann sich nicht wie ein Mensch verhalten, somit kann ich ihn auch nicht nach menschlichen Maßstäben „bewerten“. Er ist der älteste Freund des Menschen und wer hat schon einen dummen Freund?
Das menschliche Gehirn ist unvergleichlich komplexer als etwa ein Stern; und darum wissen wir auch so viel mehr über Sterne als über das menschliche Gehirn. Und der komplexeste Aspekt des menschlichen Gehirns ist seine Intelligenz. - Isaac Asimov
...und über die Gehirne unserer Hunde wissen wir noch viel weniger als über die menschlichen.
© Jörg Tschentscher 2006
Quellen:
Univ. of Wisconsin - Medison Brain Collection
Stanley Coren, Wie Hunde denken und fühlen, Kosmos Verlag 2005
Pritzel / Brand / Markowitsch, Gehirn und Verhalten, Spektrum Lehrbuch 2003
Dr. Dorit Feddersen-Petersen, Hundepsychologie, Kosmos Verlag 2004